Offener Brief an die KV Nordbaden vom 10.12.2004

von Rainer Mannheim-Rouzeaud

 

"Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement":

Ein prächtiger Stoff für des Kaisers neue Kleider

 

 

Als Teilnehmer des Seminars am 27. Nov. 2004 der Heidelberger Akademie für Management im Gesundheitswesen (HAMG) möchte ich die KV Nordbaden auf die Unausgegorenheit und Unhaltbarkeit dessen hinweisen, was derzeit unter den Stichworten "Qualitätssicherung" und "Qualitätsmanagement (QM)" den Psychologischen Psychotherapeuten (und Ärzten) zugemutet wird:

Im Widerspruch zu den öffentlichen Behauptungen der Befürworter von QM hat das Seminar keineswegs die bisherigen Bedenken, daß mit QM ein übergroßer Bürokratie- und Dokumentationsaufwand gefordert werde, dem kein Nutzen gegenüberstehe, ausgeräumt, sondern es hat diese Bedenken als tatsächlich bestätigt..

Keiner der Referenten dieses Seminars war in der Lage, auch nur ein vernünftiges Anwendungsbeispiel für den angeblichen Nutzen von QM für die Einzelpraxis (wie sie bei Psychologischen Psychotherapeuten die Regel ist) zu erbringen. Werden konkrete Beispiele für den Nutzen gefordert, kommt es – ohne Ausnahme – zu einem Umschlag von abstrakten Leerformeln der QM-Systeme in unsägliche Trivialitäten. So fanden die Referenten kein besseres Beispiel für das, was QM leiste, als das "Problem des Nichtkommens von Patienten" zu erwähnen.. Sowohl Beispiel als auch die Antworten darauf sind von einer fast kabarettreifen Dürftigkeit ("andere Arbeit machen", "Thema beim Patienten ansprechen").

Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß diese Trivialantworten kein Zufall sind, oder als Einzelfälle abgetan werden können. (Siehe hierzu auch die weiter unten zitierten Aussagen von Frau Dr. Diel) Die Trivialität ist vielmehr die konsequente Folge unzutreffender QM-Konzepte. Gerade die positive Besetzung der Begriffe "Qualitätssicherung" und "Qualitätsmanagement" machen sie so hervorragend geeignet, um als Masken zu dienen, hinter denen sich Banalität und Machtansprüche ausbreiten.. Ein Blick auf das Kursangebot der von der KV Nordbaden so wärmstens em­pfohlenen Management-Akademie baden-württembergischer Ärzte e. V. macht das bereits ausreichend deutlich. Hans Christian Andersen hätte seine Freude daran gehabt, wie sein Märchen in Realität umgesetzt wird: "Qualitätssicherung" und "Qualitätsmanagement" sind die prächtigen Garne, aus denen der Stoff für des Kaisers neue Kleider gewebt werden.

Anzuerkennen ist, daß mit dem vorgelegten QEP-Modell die KV sich bemüht hat, wenigstens die bombastischen Leerformeln der anderen Modelle mit Inhalt zu füllen. Gelungen ist dies – zumindest für die Einzelpraxis – nicht: Keiner der im QEP-Modell genannten Punkte trifft für Einzelpraxen zu, oder aber es handelt sich um reine Doppelbürokratie (bereits behördlicherseits bestehende Vorschriften nochmals zu kontrollieren) oder den persönlichen Arbeitsstil, der keiner Reglementierung bedarf . Qualitätssicherung verkehrt sich so in ihr Gegenteil.

Als Psychologe und Psychotherapeut kann ich sehr genau sagen und belegen, wo und wie die Qualitätssicherung psychotherapeutischer Arbeit zu erfolgen hat: Sie gehört in die Hände der psychotherapeutischen Fachgesellschaften, der Ausbildungsinstitute und der Wissenschaft. Die Psychotherapeutenkammern können dabei eine koordinierende Funktion übernehmen. Sie gehört nicht in die Hände irgendwelcher "Management-Akademien", die gegenwärtig wie Pilze aus dem Boden schießen.

Wer und wie die Qualität ärztlicher Arbeit beurteilen kann, mögen ärztliche Kollegen entscheiden. Daß die vorgestellten QM-Modelle aber auch für Arztpraxen kaum taugen, wurde in dem Seminar ebenfalls deutlich.

Ausdrücklich sind auch die Mitarbeiter der KVen und der KBV, die an diesen Konzepten arbeiten, zu kritisieren: Statt die sichtliche Aufgeblähtheit von QM kritisch zu hinterfragen und die Kritik der Betroffenen ernst zu nehmen, gegebenenfalls Vorschläge zur Korrektur eines offensichtlich unreifen Gesetzestextes zu erarbeiten, machen sie sich wie Beamte zu Durchsetzungsgehilfen einer schlechten Sache.

Hier ist namentlich Frau Dr. Diel zu nennen, die doch tatsächlich in einem Interview die Wichtigkeit des Qualitätsmanagements „auch in der Einzelpraxis“ folgendermaßen begründete: „...aber auch mit einer Putzfrau ist es wichtig, klare Absprachen zu treffen, wann und wo was geputzt werden muß und wie die Toilette gereinigt werden soll".( in: „Noch mehr Papier oder wirklich mehr Qualität?“ Report-Interview von Frau H. Schäfer (VPP) mit Frau F. Diel (KBV); report psychologie 6/2004, S. 391). Eine solche Aussage ist schon entlarvend: Qualitätsmanagement also deshalb, um der Putzfrau zu erklären, wie die Toilette gereinigt werden soll. Das ganze Interview strotzt nur so von wissenschaftlicher Unbedarftheit. Ich will mir hier eine Einzelanalyse ersparen, in einem Brief an den Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) (veröffentlicht im report psychologie, Heft 10/2004, S. 624) habe ich bereits Grundzüge hierzu geschrieben.

Kritisiert werden muß deshalb, daß es offensichtlich keine empirische Studie gibt, aus der zunächst Qualitätskriterien und Aussagen über deren Qualitätsrelevanz für die ärztliche und für die psychotherapeutische Praxis gewonnen werden könnten. Statt dessen konnte sich in den QM-Konzepten ein Theoriemodell ("Ist-Werte/Soll-Werte") durchsetzen, das nicht nur schmalbrüstig, sondern schlicht unzutreffend ist. Dieses Theoriemodell taugt sicher gut für die Führung eines Ersatzteillagers, ist aber für die komplexe Arbeit wissenschaftlich fundierter Tätigkeiten, wie sie Ärzte und Psychotherapeuten ausüben, völlig ungeeignet. Für den psychotherapeutischen Bereich habe ich dies in einem Beitrag für das Psychotherapeutenjournal dargestellt ("Qualitätssicherung auf Abwegen", Psychotherapeutenjournal, Heft 4/2004) für den ärztlichen Bereich wäre eine entsprechende Beweisführung ebenfalls zu  führen.

Statt blind fremde, unzutreffende Konzepte überzustülpen, ist zunächst eine qualitative empirische Untersuchung darüber erforderlich, was Qualität in einer psychotherapeutischen bzw. ärztlichen Praxis bedeutet – und zwar differenziert nach Größe und Art der Praxis. Die KV ist daher aufgefordert, eine solche qualitative Studie (in der also nicht nur Fragebogen verwendet werden) zu initiieren, eine Studie, in der konkrete Praxen untersucht, Ärzte  und Psychotherapeuten interviewt, und zunächst beschreibend Qualitätskriterien  und Aussagen über Qualitätsrelevanz  entwickelt werden..

Auch Modellprojekte jener am grünen Tisch entstandenen QM-Konzepte sind keineswegs aussagekräftig, da die Teilnehmer eines solchen Projektes erfahrungsgemäß

  1. ein positives Vorurteil hegen (sie versprechen sich etwas davon), und
  2. sich bei vielen Teilnehmern trotz eigentlich anderer Ansicht zum Schluß eine positive Bewertung durchsetzt, allein aufgrund des psychologischen Wirkmechanismus, daß so viel Arbeit, so viel Aufwand, doch nicht gänzlich vergeblich gewesen sein kann.

Nicht akzeptiert werden kann, daß die fundierte Kritik an den QM-Konzepten einfach nicht zur Kenntnis genommen wird. In dem aus über 30 Teilnehmern bestehenden Seminar gab es keine einzige Stimme, die in den QM-Modellen einen Gewinn für ihre Arbeit erkennen konnte. Im Gegenteil bestätigten sogar die Teilnehmer, die bereits praktische Erfahrung mit QM-Systemen gesammelt hatten, daß ein "riesiger Bürokratie- und Papierberg einen kaum verspürbaren Nutzen erbringe". Auch wenn die Teilnehmerzahl vielleicht keiner repräsentativen Stichprobe der Ärzte und Psychotherapeutenschaft entsprach, so sind 100% Ablehnung ein eindeutiges Votum. Es ist frappant, wie hier das Urteil von zahlreichen, erfahrenen Akademikern einfach ignoriert wird.

Stereotyp erfolgt auf die Kritik der Hinweis auf die Gesetzeslage. Es wäre hier aber die Aufgabe der KV, den Gesetzgeber auf die Unzulänglichkeit der QM-Modelle hinzuweisen und gegebenenfalls dies auch öffentlich zu tun. Keinesfalls jedoch in vorauseilendem Gehorsam sich zum willfährigen Helfer einer Sache zu machen, die überwiegend Papierberge produzieren wird und die zudem noch von den Betroffenen teuer bezahlt werden soll.

 

Zusammenfassend:

  1. Die gegenwärtigen QM-Konzepte sind für die Psychotherapeutische Einzelpraxis unhaltbar, für die Arztpraxis mit wenigen Mitarbeitern mindestens fragwürdig.
  2. Die Kenntnisse einer DIN-Norm haben mit Qualitätssicherung nichts zu tun. Deswegen gehört die Qualitätssicherung nicht in die Hände irgendwelcher "Management-Akademien".
  3. Daher keine Überstülpung fremder Konzepte, sondern eine empirische, qualitative Studie darüber, was Qualität in der Arzt- und in der Psychotherapiepraxis bedeutet.
  4. Die KV darf nicht die Rolle des beamtenmäßigen Durchsetzungsgehilfen einnehmen, sondern die Kritik der Betroffenen ist ernst zu nehmen und angemessen zu berücksichtigen. Gegebenenfalls ist eine quantitative Umfrage unter den Betroffenen durchzuführen.

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